Immer häufiger ist die Einschränkung der Funktionalität des Bewegungsapparates unserer Tinker in der Praxis anzutreffen. Chronische degenerative Erkrankungen, wie Podotrochlose (Hufrollenentzündung), Spat, Arthrose, Erkrankungen des Rückens und der Wirbelsäule, Hufrehe und Sehnenschäden nehmen immer weiter zu. Dies verwundert umso mehr, da die Erkenntnisse einer tinkergerechten Haltung nie so weit fortgeschritten waren wie heute. Früher war die Ständerhaltung noch allgemeine Praxis und die Boxenhaltung geradezu ein Luxus. Heute gehen immer mehr Tinkerhalter dazu über, ihre Tinker optimalerweise in einem Offenstall unterzubringen. Licht, Luft und Bewegung sind die Bausteine einer gesunden Haltung, wie allgemein bekannt. Vergleiche zwischen früher und heute zeigen jedoch deutlich, dass unsere Tinker trotz unserer heutigen Erkenntnisse oftmals bereits im Fohlen- und Jungpferdealter mit Erkrankungen zu kämpfen haben, die in früheren Zeiten erst im Alter durch Verschleiß auftraten.

Ähnlich haben sich die Erkenntnisse einer optimalen Fütterung in den letzten 20 Jahren stark gewandelt: Früher galt die ausschließliche Fütterung von Hafer, Heu, Stroh und Gras als ideale Tinkernahrung, heute wird Heu durch Silage und Stroh durch Alternativeinstreu ersetzt. Mit Vitaminen, Spurenelementen und Mineralstoffen sieht es ähnlich aus: Früher war man der Meinung, dass in der täglichen Ration alles enthalten war, heute geht die moderne Ernährung dazu über für jedes Alter, jede Rasse und jede Disposition zur Erkrankung bzw. Erkrankung selbst ein spezielles Futter herzustellen. Nicht zu vergessen ist, dass wir heute davon ausgehen, dass Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe synthetisch hergestellt die Getreideration ergänzen müssen, da ansonsten ein Mangel entsteht, der wiederum zu schwerwiegenden Mangelerscheinungen/Erkrankungen führen soll. Unsere Weiden sind künstlich gedüngt, die Unkrautbekämpfung wird durch Pestizide vorgenommen und Heu mit seinem hohen Rohfasergehalt durch die rohfaserärmere proteinhaltigere Silage ersetzt. Getreide wird durch Düngemittel vermehrt, teilweise auch genmanipuliert. In langen Jahren wurden die Bedarfswerte für Vitamine, Mineralien und Spurenelemente mehr und mehr erhöht, da Tinkerhalter der Ansicht waren, je mehr, je besser, umso mehr enthalten, umso mehr bekomme man für’s Geld und umso mehr Gutes tut man seinem Tinker.

„In den letzten Jahren ist mehr und mehr ein Umdenken zu beobachten: Bedarfswerte für Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente werden gesenkt und der Trend: Back to the roots ist im Kommen!“

Natürlich werden Erkrankungen des Bewegungsapparates durch mehrere Faktoren begünstigt. Anfangs steht die Genetik und diesbezügliche Disposition sowie angeborene oder erlangte Stellungsfehler. Doch werden die ersten Fehler bereits kurz nach der Geburt mit dem heute üblichen Fohlenstarter begonnen. Fohlenstarter führt zu schnellem Wachstum sowie Gewichtszunahme, was naturgemäß bedeutend langsamer von statten gehen würde. Bereits hier erhält der Bewegungsapparat erste – oft bleibende – Schäden. Weiterhin werden hoch dosierte synthetische Vitamine, Mineralien und Spurenelemente zugeführt, die – so neueste wissenschaftliche Erkenntnisse – oftmals überdosiert sowie auch, da synthetisch hergestellt, nicht optimal verwertet werden können. Man möchte das Beste für seinen Tinker und erreicht – leider – das Gegenteil dessen! Unerlässlich für die uneingeschränkte Funktionalität des Bewegungsapparates ist ein optimales Calcium : Phosphor Verhältnis, welches bei 1,5 – 2,0 : 1 liegt. Dieses zu erreichen ist wegen der zunehmenden Denaturierung des Futters und unserer heutigen Bodenbewirtschaftung wahrlich schwierig. Gutes Heu verfügt in der Regel über ein Calcium : Phosphor Verhältnis von 1,5 : 1 oder höher. Früher war dieses Verhältnis infolge der geringeren Intensität der Grünlandbewirtschaftung günstiger, denn diese bewirkte einen höheren Anteil an Kräutern. Einerseits erreichen wir bei unserer Tinkerfütterung selten das ideale Calcium : Phosphor Verhältnis, andererseits füttern wir immer mehr Protein, was ungünstigen Einfluss auf den Bewegungsapparat hat. Darüber hinaus bestehen weitere Probleme in der Zuführung oftmals viel zu hoch dosierter Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, die nicht nur auf den Bewegungsapparat, sondern auch insbesondere auf die Entgiftungsorgane Leber und Nieren schädlichen Einfluss ausübt. Protein sowie die übermäßige Zuführung der o. g. Stoffe müssen durch Leber und Nieren wieder ausgeschieden werden, was hier oftmals zur Überlastung und somit weiteren Schäden führt. Weiterhin ist relativ ungeklärt, inwieweit das Verdauungssystem des Tinkers überhaupt synthetisch zugeführte Stoffe verwertet. Beim Mensch beispielsweise existiert der wissenschaftliche Beweis, dass natürlich vorkommende Vitamine etc. bedeutend besser verwertet werden, als synthetisch hergestellte. Da der Tinker ein bedeutend sensibler reagierendes Verdauungssystem als der Mensch besitzt und darüber hinaus auch heute noch viel mehr an die Natur angelehnte Lebensbedingungen zur Gesunderhaltung benötigt, gehe ich davon aus, dass diese Erkenntnisse umso mehr auf den Tinker zutreffen. Meiner Erfahrung nach wirkt sich eine weitgehend naturgemäße Tinkerernährung positiv aus. Ein weiterer Faktor zur Begünstigung von chronischen Erkrankungen des Bewegungsapparates ist die nicht tinkergemäße Haltung. Trotz weitreichender Erkenntnisse einer optimalen Haltung ist kaum ein Tinkerbesitzer in der Lage, diese praktisch umzusetzen. Vor allem im Winter wird unseren Tinkern – selbst bei Offenstallhaltung – ausschließlich ein kleines Paddock zur Bewegung zur Verfügung gestellt. Weiträumige Bewegungsmöglichkeiten sind in der heutigen Zeit kaum noch gegeben. Vor allem in den Ballungsgebieten ist das Problem offenkundig. Zusätzlich problematisch ist, dass der Wechsel zwischen keiner bis kaum Bewegung zur Arbeit unter dem Reiter oft gravierend ist. Als Aufwärmphase wird hier – statt einer halben Stunde – oftmals 5 Minuten angesetzt. Nach der Arbeit ist das Verbringen in die Box, also keinerlei Bewegungsmöglichkeit, leider Realität. All diese Einflüsse zusammen bewirken die zunehmende Einschränkung der Funktionalität des Bewegungsapparates, demnach die vielen chronischen Erkrankungen, welche – leider – immer weiter zunehmen. Die beste Prophylaxe – neben einer verantwortungsvollen Zucht – ist meiner Erfahrung nach eine tinkergerechte und vor allem weitgehend naturgemäße Haltung und Fütterung unserer Tinker. Zugegeben ist diese oftmals schwer zu verwirklichen, doch sollte das Bestreben dieser immer im Vordergrund stehen, denn oft sind es die für den Tinkerbesitzer kleinen Veränderungen, welche selbst Symptomatiken einer chronischen Lahmheit völlig eindämmen.

(www.tierheilkundezentrum.de)

 

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