Vor einigen Jahren war ein kleiner Wanderzirkus bei uns in der Stadt zu Gast. Sie machten ordentlich Werbung für ihre Vorstellungen und in der Zeitung las ich, dass sie auf einem gemeindeeigenen Grundstück ihr Winterlager aufschlagen würden. Kurze Zeit später kam ich an diesem abgelegenen Grundstück entlang und schaute mir die Tiere an, die überall herum standen. Ziegen und Miniponies waren angepflockt, Hunde liefen frei herum und aus einem provisorischen Verschlag schauten mich mehrere Pferdeaugen an. Naja, ein ziemliches Durcheinander und die Haltung nicht wirklich das, was ich unter einer pferdegerechten Haltung verstehe. Aber der Futterzustand war ok und einigermaßen gepflegt waren auch alle. Leider doch nicht alle. Ganz hinten in einem abgesteckten Paddock stand ein ziemlich abgemagertes und zerzaustes graues Pony. Ich wollte es mir genauer ansehen, aber die frei herum laufenden Hunde gewährten mir definitiv keinen Eintritt. Ich ging also um das Grundstück herum um von der anderen Seite zu dem Pony zu gelangen. Ich musste an einer Mauer hochklettern, damit ich etwas sehen konnte. Das ging aber ganz gut, weil ich genügend Äste von Bäumen, die drum herum standen, zum Festhalten hatte.
Und dann sah ich ein Pony in einem absolut erbärmlichen Zustand. Klapperdürr, stumpfes, zerzaustes Fell mit kahlen und offenen Stellen. Der Schweif nur noch ein paar kurze, dünne Haare. Tränende Augen und der Rotz lief aus der Nase. Als es mich bemerkte, schaute es mich mit traurigen und müden Augen an. Es hatte kaum noch die Kraft, den Kopf zu heben. Auch die Hufe waren in einem desolaten Zustand. Eine Hufpflege hatte scheinbar über Monate nicht mehr stattgefunden. Plötzlich legte das Pony die Ohren an und drehte sich um. Ein jüngerer Mann kam auf es zu und zur „Begrüßung“ erhielt das Pony erstmal einen Tritt in den Bauch, damit es zur Seite ging. Das Pony stöhnte auf und fiel fast um, so schwach war es. Das war mir nun definitiv zu viel und ich schrie den Mann an, er solle das Pony in Ruhe lassen, ob er nicht sehen würde, dass es sich kaum noch auf den Beinen halten könne. Verwirrt blickte er hoch, bis jetzt hatte er mich ja hinter der Mauer nicht sehen können. Er sagte nur, dass mich das gar nichts anginge, ich verschwinden solle, sonst würde er die Hunde holen. Das Pony sei sein Eigentum und würde eh morgen zum Schlachter gebracht.
Ich kletterte die Mauer wieder hinunter und machte mich umgehend auf den Weg nach Hause. Völlig außer mir vor Trauer und Wut wirbelten meine Gedanken im Kopf herum. Ich musste diesem armen Pony helfen. Jahrelang hat es den Menschen Freude und Spaß bereitet und nun soll es in diesem jämmerlichen Zustand unsere Welt verlassen? Das konnte und durfte ich nicht zulassen! Es gab nur eine Möglichkeit – ich musste diesem Typen das Pony abkaufen. Kurz entschlossen steckte ich mir Bargeld in die Tasche, hängte den Pferdehänger ans Auto und fuhr los. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde aber das war mir egal. Ich ließ mein Auto etwas abseits stehen und machte mich die letzten Meter zu Fuß auf den Weg. Ich hatte Glück und der Typ lief draußen herum. Ich sprach ihn an und fragte nach dem Chef. Er kam betont langsam auf mich zu und sagte mit einem süffisanten Grinsen, dass der Chef vor mir stehen würde. Ok….Ich machte es kurz und sagte, dass ich ihm das alte graue Pony gerne abkaufen würde. Plötzlich war er sehr gesprächig und erzählte mir, was Jack, so heißt das Pony, alles für tolle Kunststücke konnte. Der Typ widerte mich an und ich wollte hier so schnell wie möglich wieder weg – aber nur mit Jack! Also handelte ich mit diesem herzlosen Menschen den Preis für Jack aus. Ich muss hier nicht erwähnen, dass er meine Tierliebe schamlos ausgenutzt hat und gemerkt hat, dass ich Jack auf alle Fälle mitnehmen wollte. Aber das ist es nicht, was zählt…
Mit Jack an der Hand verließ ich das Grundstück. Er muss einmal ein richtig hübscher kleiner Kerl gewesen sein, ein Grauschimmel und ungefähr 1,30 m groß. Er war damals um die 20 Jahre alt. Seine vierbeinigen ehemaligen „Arbeitskollegen“ schauten ihm noch lange hinterher – ich denke, sie spürten, dass er es bald besser haben wird. So kam Jack noch am selben Nachmittag zu mir ins Tierheilkundezentrum.
Ich brachte Jack erst einmal in eine große, helle, dick eingestreute Box, damit er sich in Ruhe an sein neues Zuhause gewöhnen konnte. Dann päppelte ich ihn auf. Ganz langsam und vorsichtig fasste er etwas Vertrauen zu mir, so dass ich ihn überhaupt behandeln konnte.
Wir kümmerten uns um seine Hufe und seine Zähne, beides war in einem desolaten Zustand. Über ein halbes Jahr dauerte es, bis Jack wieder einigermaßen passabel aussah. Mit den anderen Pferden, die im Tierheilkundezentrum stehen, verstand er sich auf Anhieb, als Zirkuspferd war er Gesellschaft gewohnt. Vom Wesen her war er anfangs sehr ängstlich und hatte große Angst vor Männern. Das wunderte mich nicht… Dagegen liebte er kleine Mädchen mit langen Haaren über alles.
Als es ihm besser ging und er bei mir im Paddock stand, erinnerte er sich wohl plötzlich an das, was er mal gelernt hatte. Als ich ihn füttern wollte und in seinen Paddock kam, machte er einen Knicks, stand wieder auf und legte mir seinen Kopf auf meine Schulter. Dabei schnaubte er mir vergnügt ins Ohr. Ich schaute ihn an und hatte Tränen in den Augen, nichts erinnerte mehr an den Jack, den ich vor fast einem Jahr vor dem Tod bewahrt hatte… in solchen Momenten weiß ich immer sehr genau, warum ich das alles mache…
Und dann passierte eines Tages etwas ganz Süßes. Jack verliebte sich. Nein, nicht in ein schickes, kleines Pferdemädchen, sondern in die Tochter einer Freundin. Marie ist 8 Jahre alt und hat lange braune Haare. Sie waren bei mir zu Besuch und Marie stand vor Jack’s Paddock und streichelte ihn stundenlang am Kopf. Irgendwann stand sie im Paddock und Jack wühlte mit seiner Nase in Maries langen Haaren. Beide quiekten fast vor Vergnügen. Als Marie ging, schaute Jack ihr traurig hinterher. Das war wohl gegenseitig, denn zwei Tage später rief meine Freundin an und sagte, dass Marie unbedingt wieder Jack besuchen will. So entwickelte sich eine ganz süße Freundschaft. Marie geht seitdem regelmäßig mit Jack spazieren und dafür macht Jack alle Kunststücke die er mal gelernt hatte, auf Kommando von Marie. Selbst hinlegen und „totes Pony spielen“ macht er trotz seiner alten Knochen manchmal noch für Marie. Dann legt sie sich neben ihn und kuschelt sich an ihn. Sobald sie ihm ganz leicht ins Ohr pustet, darf er in ihren Haaren wühlen. Er passt auch auf sie auf. An einem eisigen Wintertag stolperte Marie unglücklich beim Spaziergang um den Hof auf einer gefrorenen Pfütze und fiel auf den Boden. Sie konnte nicht mehr aufstehen, weil sie sich den Knöchel ziemlich doll verstaucht hatte. Sofort blieb Jack stehen, schnupperte ganz vorsichtig und wieherte dann so lange und so laut bis jemand kam und Marie geholfen hat.
Inzwischen ist Jack zu Marie umgezogen. Nur schweren Herzens lasse ich Tiere wieder gehen und dass sie es in ihrem neuen Zuhause gut haben, ist für mich die absolute Voraussetzung. In diesem Fall musste ich mir da allerdings überhaupt keine Gedanken machen, da meine Freundin die gleichen Ansichten hat wie ich. So ließ ich ein ganz liebevolles Wesen gehen, dafür habe ich wieder Zeit und Platz für ein neues armes Geschöpf.
Submit your review | |